07.12.09

Fünfte Tür



Natürlich auch auf deutsch im ROLLING STONE vor einigen Tagen erschienen: ein Feature über Ian Fraser Kilmister, den die Welt als Lemmy kennt. Obiger Ausschnitt stammt von einer Fotografie Pep Bonets und ist meiner bescheidenen Meinung nach eines der besten Portraits des Mannes. Der Artikel ist in Ordnung für Menschen, die den Mann und die Band Motörhead nicht weiter kennen.

Seit ein paar Jahren erleben die ja ihren vierten Frühling, was allen Beteiligten gegönnt sei. Anzi, wie der Italiener sagt, der Sache haftet un petit peu d'odeur an. Und so blödsinnig wie hier die Mischung fremdsprachlicher Audrücke gemixt wird, so hohl ist das Interesse. Plötzlich findet jeder Motörhead cool, Menschen; die vor zehn Jahren nicht wussten, was der Krach soll, erklären mir als altem Gläubigen plötzlich, wie fantastisch "Ace Of Spades" sei. Natürlich ausgerechnet dieses Stück, totgespielt und immer noch herrlich, unzerstörbar und kaum noch erträglich. Sogar die WELT endeckte vor vier Jahren den Mann als rockendes Urgestein. Die WELT! Ich versuche mir eine Schlagzeile der Blattes aus dem Jahr 1981 vorzustellen und sehe Begriffe wie Vandalen und Radau.

Was hier geschieht ist die formatierte Rezeption einer medial gedrillten Welt, die sich selbst zumurmelt: "Ah, ein Rockdinosaurier, (hier öffnet sich das interne Pop-Up-Menü: Jagger/Richards, AC/DC, Ozzy, MAIDEN, KISS) unverfälscht und ehrlich, echt bis ins Mark!"

Dann ziehen vorm inneren Auge die Bilder einer RTL-Die-100-besten-Rocklegenden-Show vorbei; Nena und Klaus Meine, Axel Schulz und irgendein Arschloch irgendeiner Plattenfirma sitzen bei Geissen und der blubbert seine Endlosspur:"Hach, die Sixties! Unglaaablich! Die Beatles, was waren wir nicht, also ne, mit den Beatles. Und die Mondlandung, ne. Unglaaablich! Und die Mode, ne! Minis. Nena hasse auch Mini damals? Ne, wir ham ja alle Minis damals in den Sixties. Unglaaablich! Gab es in der DDR auch Sixties, Axel? Und dann gleich nahtlos die Siebziger und wir trugen alle Schlaghosen. Und die Frisuren... unglaaablich! Und die Rockmusik erst: Pink Floyd, Led Zeppelin, Karat. Wahnsinn! Und hier sind sie! " Dann hampelt eine geriatrische Combo zum Playback, der Sampler zur Sendung liegt schon am nächsten Tag in den Läden. Reduzierung der Welt auf Mode und Event, Kulturgeschichte für ADSler.

Lemmys Lebenslauf passt hier natürlich perfekt. Als Hauptverdienst wird ihm wohl anerkannt, dass er überhaupt noch lebt. Und in Interviews wie ein Peter Scholl-Latour des Hardrock übellaunige Kommentare zur Lage der Welt in die Mikros hustet. Den Hang zur besserwisserischen Schwarzseherei vergibt man ihm sofort, sein Witz ist trocken und sarkastisch. Irgendwie ist dieser Lemmy also geil und man findet ihn toll. Recht so!

Dass der Mann vermutlich immer noch seine Socken drei Wochen am Stück trägt, den Röcken hinterher jagt und dabei ganz unverblümt gesteht, natürlich Viagra zu nutzen, weil er schließlich über 60 sei, geht den Menschen dabei aus. Denn das wäre nicht keimfrei. Einen Lemmy aus dem Bilderbuch hätte man sonst gerne mal zu Gast auf der heimischen Couch: "Guck mal, Alter, meine Sammlung: Ace Of Spades!" Einen Lemmy in realiter könnte man dazu nicht bewegen und sollte er durch widrigste Umstände in die Situation kommen, würde er dich unter den Tisch trinken und anschließend deine Frau und deine Tochter, du weißt schon.

Was irgendwie wieder beruhigend ist, so als Gedanke. Morgen zieh ich frische Socken an.

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