30.03.12

Prolog


Keyboarder in Rockbands finden nicht statt. Definitiv. Der Sänger von TRAVIS erzählte kürzlich (das war natürlich vor einem Jahrzehnt) im Interview: „Als ich mir einen Bart stehen ließ, haben mich die Leute auf der Bühne zuerst gar nicht erkannt. Die dachten wohl, ich sei der Gitarren-Roadie oder Keyboarder oder sowas, haha.“ Oder sowas. Haha.


Zarte Mädels stehen auf den Sänger. Wenn er hübsch ist. Mädels, die's 'ne Spur härter brauchen, stehen auf den Gitarristen, wenn er sich wie ein Vieh gebärdet. Die meisten Kerle übrigens auch, siehe Meyer's Musiklexikon unter Airguitar. Jungmänner im Publikum wollen eh immer bloß entweder Axeheores oder Schlagzeuggötter sein. Okay, ein paar vielleicht auch Rockstar. Aber dann sind sie ja eigentlich sowieso längst Sänger in ihrer eigenen Band. Mädels, die eher gute Kumpels sind, stehen auf den Drummer. Die ganz Ruhigen schwärmen vielleicht noch für den Basser, wenn der immer schön einen auf geheimnisvoll macht. Bloß für Keyboarder interessiert sich kein Schwein.

Der Grund liegt auf der Hand. Rockmusik ist auf den ersten Blick eine sehr körperliche Angelegenheit. Let's get physical: der Drummer schuftet wie eine Sau im Maschinenraum, der Basser massiert den Hörern den Unterleib, der Sänger spurtet und singt und schwitzt und animiert und der breitbeinige Gitarrist entlockt seiner Axt mit ekstatischem Gesicht brachiale Powerchords. Natürlich könnte er das auch im Sitzen, mit völlig entspannter Mimik. Aber dann wäre er ja schon fast Keyboarder, wenn Ihr wisst was ich meine.

Die stehen nämlich nur da, machen ein paar Finger krumm und das war's. Bewegungsradius gleich Null, körperlicher Einsatz dito. Das ist alles sehr unrockenroll und riecht irgendwie nach Verrat und Intellektuellenscheiße. Nicht nur, dass alle Keyboarder immer Brillen tragen, sie benutzen auch Wörter wie „unisono“ oder „ritardando“ und wissen sogar noch was gemeint ist. Klugscheißer vom Planeten ESQ-1 in der Kugelgalaxis Korg.

Ach, wie viele meiner Zunft haben ihr karges Dasein in glorreichen Tagen deshalb hinter dem Vorhang fristen müssen? Shame on you, Ozzy! Bei Ausrabungen unter der Schleyerhalle kann man heute noch Knochen und abgeschabte Tastaturen vergessener Keyboarder aus der Blütezeit des NWOBHM finden. Dabei benutzen die Herren Rockmusikartisten doch wirklich in jedem denkbaren Bereich Technik vom Feinsten. Bloß Tasten sind uncool. Naja, mal ehrlich: kann man sich vorstellen, dass im Werbespot jemand ein Klavier durch's Death Valley schiebt, um Schokoriegel zu verkaufen? Ohne Gitarre geht da nix. Eben! Selbst die durchschnittliche Grundschul-Anfängerkurs-Blockflöte hat mehr Sex als ein High-Tech-Keyboard. Liegt am Blasen, nehm' ich an.

Ein Flügel, klar, das ist was anderes, da fallen einem die Mädels mit feuchten Augen auf's Bärenfell vorm offenen Kamin. Ein Flügel gilt! Das hat Stil und Format, ist weltmännisch und klassisch. Bloß, um den Kreis zu schließen, wer zum Teufel hat bei einer fetten Rockshow die benötigten Accessoires wie Steinway, Kaminfeuer und Dinerjackett schon immer zur Hand?

Wenn wir gerade von Klischees reden: Vorbilder sind eins. Gitarrenhelden kann jeder Zehnjährige dutzendweise aufzählen, gleich nach den Fußballern und Formel-1-Piloten. Aber wer kennt mehr als drei Keyboarder? Wer kennt überhaupt drei namentlich.

„Ach so, der! Ich dachte, das sei der Gitarrenroadie oder so, haha.“

Jon Lord. Natürlich. Ein Gigant am Instrument, souverän und charmant, ein Lebenswerk hinter sich auf dem man Städte bauen könnte. Chapeau! Dann wird's dünn. Vielleicht noch Roddy Bottum. Immerhin hat er es geschafft, bei Faith No More mit technischer Überausstattung aus siebenundneunzig Samplern genau einen Streichersound zu kreieren. Das nenne ich Minimal Art, das mag ich: reduziert auf's Wesentliche. Wer viel spielt und womöglich noch schnell, bloß weil er's kann, ist ein armer Wicht. Gilt für alle Instrumente. Der Song ist der Chef. Dann kommt der Sänger, dann der Rest. Zum Schluss, und wirklich erst ganz zum Schluss kommen die Keyboards. Gut bist Du als Tastateur erst dann, wenn keiner merkt, dass Du mitspielst, aber alle spüren, dass was fehlt, wenn Du nicht mehr dabei bist.

„Milano, halt’s Maul und leg mal 'n par Flächen unter's Solo. Kommt irgendwie zu dünn!“
„Okay...“

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