31.05.12

BABIERLE UFFHEBBE!

Right, right. Doobidoob. A bit tired, maybe, everybody is. Best not to say more. Bedways is rightways now, so we best go homeways. Right?
Dim (Anthony Burgess, A Clockwork Orange, Norton Library, 1962)


Moderator: "Du warst doch auch irgendwie auf der Schule, erzähl doch mal... war da alles noch schwarzweiß?"
 
86 Jahre nach Gründung der Schule, die nach König Karl von Württemberg benannt wurde, hatte ich das Vergnügen. Frau Hoch hieß die erste Lehrerin; sanft war sie und riesengroß, fuhr einen 2CV, auf dem der Kleber prangte: "Fahr net auf mein heilix Blechle!"

Später gab es Unterricht beim Rektor, Herr Braun war wohl sein Name -doch die Erinnering ist ein trügerischer Tümpel- und er bescherte mir eine bis zum Abitur anhaltende Rechenphobie. Herrn Brauns didaktische Vorgehensweise war, Schüler aufstehen zu lassen, um vor der Klasse Rechenaufgaben zu lösen. An die Aufgabe erinnere ich mich nicht mehr, aber an die Angst, da vor allen stehend einen Fehler zu machen. Konnte sehr streng sein, bei falschen Antworten, der Herr Rektor. Also schwieg ich (schlotternd) und der Zorn des Pädagogen kam trotzdem über mich.

Es gab auch einen Lehrer, dessen Name mir ums Verrecken nicht mehr einfallen will. Ihm beliebte, schwatzhafte Naturen durch einen Wurf seines Schlüsselbundes in die Alltag der Schule zurück zu holen. Der war ziemlich jung damals, was der wohl heute macht?

Frau Mattes schließlich war für die 4. Klassen zuständig und eine überall gefürchtete Erscheinung. Ich vermute, selbst der Lehrkörper senkte in ihrer Anwesenheit den Blick. Sie hielt zum Glück große Stücke auf mich, und bis auf das eine Experiment, als ich -die Zunge vor Anspannung im Mundwinkel blitzend- versuchte, die beiden Enden meines Plastiklineals durch Biegen einander nahe zu bringen... nunja, mit einem der Detonation einer Stabhandgranate nicht unähnlichen Knall verabschiedete sich das Messwerkzeug zur Überraschung wirklich aller Anwesenden schlagartig und trug mir hundert Mal "Ich soll im Unterricht nicht mit meinem Lineal spielen!" ein.

Den Hausmeister nannten wir in Verunstaltung seines Familiennamens Winnetou, lachten über sein rotes Gesicht und fürchteten ihn doch wie den Schwarzen Mann: er sah alles und erwischte jeden. Plötzlich konnte dieser massige Mann sich aus dem Nichts materialisieren, dich bei etwas erwischen -vermutlich war die schiere Anwesenheit eines Kindes auf SEINEM Schulhof schon Grund genug für olympischen Zorn- und sein gefürchtetes Verdikt brüllen, immer gleich und für jedermann in gefühlten 100 Kilometer Umkreis hörbar: "BABIERLE UFFHEBBE!"*

Frau Eisen schleppte zur großen Pause täglich ihren Karren von der nahen Bäckerei auf den Schulhof und wir aßen Brezeln, wie sie heute nirgendwo mehr gemacht werden.  Schlimm, wenn einer da das Urteil Winnetous zu hören bekam. Blieb kaum Zeit, die paar Papierfetzen zu sammeln und in den Mülleimer zu werfen, bevor die Pausenglocke wieder alle in Zweierreihen antanzen und ins Zimmer trotten ließ.

Die Kumpels hießen Frank und Thomas und Peter und Feizi. Feizi war der einzig türkische Junge an der Schule. Er schenkte mir selbstgezeichnete Bilder, die oft die Großtaten Atatürks darstellten. Ich beneidete ihn um all die Panzer und Gewehre auf den karierten Blättern. Deutsche Soldaten zu zeichnen war tabu, der Großvater durfte nicht vom Krieg erzählen.

Die Innenstadt war voll hässlicher, krummer Häuser, ein paar Höfe von ehemaligen Stadtbauern, Handwerker, Gewerbe, ein winziges Kino, kleine Geschäfte; bei Lorenz Müller konnte man jede Schraube, jeden Winkel, jedes Metallteil der Welt kaufen; einer der Männer -in blauem Arbeitsmantel versteht sich- verschwand in den Tiefen des Lagers und tauchte Minuten später mit dem benötigten Beschlag wieder auf. "Siebzig Pfennig", oder ähnliches stand dann auf der handgeschriebenen Quittung.


Nun war anlässlich einer Familienfeier ein Gang durch die Stadt unumgänglich. Auch heute ist die Innenstadt fast immer noch voll hässlicher, krummer Häuser. Die Handwerker sind weg, die Handyläden sind da. Das Kino ist schon ewig geschlossen, die Spielsalons erobern die Innenstadt. Wo aber einmal die Schaufenster abgeklebt sind mit der vermeintlich stilvollen Verheißung großer, schneller Kohle in nuttig geschwungenen Lettern, da kommt nie mehr ein anständiger Laden in die Nachbarschaft.

An der oben erwähnten Schule sprechen viele Kinder in der ersten Klasse nur rudimentär deutsch. Denn von den 10% Bevölkerung mit ausländischem Familienhintergrund im Kreis leben wiederum gute 90% in der Kernstadt und den angrenzenden Vierteln. Die ehemaligen Innenstädter wohnen längst außerhalb, sitzen sich fett in miefigen Reihenhäusern gegenseitig auf den Nerven, oder haben -ein reiches Städtchen, darf man nie vergessen- beeindruckende Trutzburgen in teurer Randlage erstellt. Der Einkauf alltäglicher Verbrauchsgüter findet im Gewerbegebiet statt, zum Bummeln fährt man in benachbarte Kreisstädte. Weil es ja "daheim wirklich nix gibt, was für ein Kaff, nicht mal eine simple Jeans kriegst du da!", et cetera, ad nauseam.

Dass vor nicht allzulanger Zeit vor meiner oben vorgestellten Schule ein älterer Herr auf dem Nachhausweg von seinem Stammtisch -Luftlinie Lokal-Wohnung unter 700 Meter- von einer Gruppe junger Männer verprügelt wurde, ist nicht schlimmer Einzelfall, sondern Mainstream: Clockwork Orange ist in der Provinz angekommen.


Eine zusehends verrohende Gesellschaft, freiwillig verblödet, gläubige Jünger von Castingshows, dumpfer Billigunterhaltung und dem stets billigsten Ausweg, die sich zudem über Jahrzehnte scheute, nötige Diskussionen zu führen; wegsah, statt zu reagieren, erntet jetzt eine bittere Erkenntnis: ob dich da deutsche, albanische, russische, türkische, libanesische oder weiß-der-Herr-was für Tritte treffen... zu spät, um Verständnis heuchelnd die World-Music-CD von Putumayo zu zücken.

Moderator: "Danke, Spike, und jetzt zum Wetter!"

*für sprachlich Unterbegabte: "Papierchen auflesen!"


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